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Wandern am letzten Wilden

Einer der schönsten Weitwanderwege Europas führt am Lech entlang – einem der letzten Wildwasserbäche der Alpen. Das Erleben der teils mystischen teils märchenhaften Bergwelt öffnet den Blick für die eigene Seele.

Den Sorgen und Problemen einfach davon laufen, Abstand zu den Nöten und Sorgen des Alltags gewinnen, all das kann man am besten beim Bergwandern. In der Erhabenheit der Berge und aus der Höhenperspektive relativiert sich so vieles, was sonst wie ein unüberwindbarer Berg erscheint. Tanja Kneisel aus Landsberg wollte vor zwei Jahren einfach nur weg vom Alltag und entschied sich deshalb, ganz allein mehrere Etappen auf dem 125 Kilometer langen Lechweg zu pilgern. Auch die Münchnerin Karla Gülde zieht es immer wieder in die stille Vorarlberg-Region, wenn sie wieder mal den „Blues“ hat.

In ganz Europa gibt es zwar zahlreiche Wanderwege, auf denen man ganz entspannt auf horizontalen Pfaden wandern kann. Doch der erst vor fünf Jahren offiziell eröffnete Lechweg sucht seinesgleichen, begleitet der mal sanft plätschernde und mal wild sprudelnde Fluss den Wanderer fast die gesamte Strecke – von der beim Formarinsee gelegenen Quelle bis zum Lechfall in Füssen. Dabei führt er durch drei Länder, vom österreichischen Bundesland Vorarlberg durch das Tiroler Lechtal bis nach Deutschland ins Allgäu und ist somit im wahrsten Sinne des Wortes grenzüberschreitend.

Mystische Welt am Formarinsee

„Sportlich Geübte können die sieben Etappen mit An- und Abreise in acht Tagen bewältigen. Das ist die klassische Variante“, sagt Ramona Sprenger, Pressereferentin des Lechwegs-Vereins. Viele nehmen sich jedoch auch acht oder gar zehn Tage Zeit, um die Natur und die Aussichten intensiver betrachten und erleben zu können. Und viele wie Tanja K. laufen auch nur zwei oder drei Etappen.

Da die Wildflusslandschaft zum Glück keinem Kraftwerk geopfert wurde, ist der Lech noch eines der letzten fast intakten Flusssysteme der Alpen. Der Weg geht deshalb weitestgehend durch unberührte Natur und bietet viele einzigartige Erlebnisse. So findet man dort Gämse und gelegentlich sichtet ein Wanderer auch ein Murmeltier. Auf der ersten Etappe vom knapp 1900 Meter hoch gelegenen Formarinsee nach Lech kommt er auch an eine der letzten Steinbock-Kolonien Europas vorbei.

“Ich habe mir meine besten Gedanken ergangen und kenne keinen Kummer den man nicht weggehen kann“, schrieb schon der Philosoph Sören Kierekgaard

Tanja K. war fasziniert von der kargen Hochgebirgsregion am Formarinsee. Die Stimmung sei dort geradezu unglaublich gewesen, so mystisch wie auf Island, erinnert sich die zweifache Mutter und fügt hinzu „Wenn hinter einem Stein ein Gnom geschaut hätte, wäre ich nicht verwundert gewesen“. Kurz vor Lech, bei Tannberg, kann der Wanderer schon aus der Ferne einen zauberhaften Wald erblicken. Die Münchnerin, Karla G., zieht es immer dann in die stille Vorarlberg-Region, wenn sie wieder mal den „Blues“ hat. Vor allem die zweite Etappe, die von Lech nach Gehren ins Lechtal führt, liebt sie besonders. Der 14 Kilometer lange Pfad verläuft erst oberhalb der Lechschlucht und führt danach hinter dem Dorf Stubenbach stetig durch einen Höhenwald bergauf zum Walserdorf Warth. „Die Steigung ist sanft, man spürt kaum, dass es 700 Meter hinauf geht. Dieser kontinuierliche Aufstieg tut mir gut. Ich merke förmlich, wie mir bei jedem Schritt leichter ums Herz wird“, so die Münchnerin.

Kurz vor Warth gibt es einen kleinen Naturbadesee, an dem sie bei schönem Wetter meist Rast macht. „Dort merke ich schon, dass der gleichmäßige sanfte Anstieg meine Traurigkeit vertrieben hat“, erzählt sie.

Weitwandern beglückt die Seele

Von wissenschaftlicher Seite wird ihr subjektives Erleben durchaus bestätigt. So berichtet der Psychiater Dr. Reinhard Haller, dass neuste Forschungen belegen, dass man beim Bergwandern regelrecht in einen positiven Höhenrausch geraten kann. Beim kontinuierlichen Aufstieg werden mehr Glückshormone, allen voran Serotonin und Endorphine ausgeschüttet. „Wir wandern der Depression davon und überwinden durch Wandern den schweren Berg der Traurigkeit“, erklärt der Mediziner….