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Wie wertvoll bin ich?

 Mangelndes Selbstvertrauen und Selbstliebe beeinflusst unser Verhalten und unser Gefühlsleben negativ. Die Frage, wie man ein schlechtes Selbstwertgefühl steigern kann, beschäftigt deshalb seit langem viele Forscher und Psychologen. Die Antwort darauf ist nicht einfach.

Kaum eine Nachricht hat die Deutschen im Frühjahr 2015 derart erschüttert und zutiefst bewegt, wie der Absturz des Germanwings Airbus´ in Südfrankreich in den Rhone-Alpen. Der Pilot Andreas Lubitz hatte auf den Flug von Barcelona nach Düsseldorf den Absturz der Maschine bewusst herbeigeführt und sich selbst, die Flugbesatzung und 150 Passagiere in den Tod gerissen. Später fand man heraus, dass er an einer schweren Depression litt und er befürchtet hatte, schon in Kürze seinen Beruf als Pilot nicht mehr ausüben zu können. Was bringt einen jungen Mann zu einer derartigen Tat? Ein zu geringes Selbstwertgefühl könnte möglicherweise ein zentrales Motiv und auch eine wesentliche Ursache seiner Depression gewesen sein.

Was ist Selbstwert und Selbstvertrauen?

Für die Psychotherapeutin Friederike Potreck-Rose ist Selbstwert der Wert, den eine Person sich selber zuschreibt. Welchen Wert würden sich wohl die meisten Menschen auf einer Skala von 0 bis 10 geben? Potreck-Rose vermutet, dass die meisten Menschen ihren Selbstwert eher für zu klein als zu groß halten. Und auch Glücksforscherin Bea Engelmann berichtet aus ihrer Praxis: „Leider haben viele die Neigung, sich herabzusetzen und ein recht schlechtes Bild von sich“. Um Selbstvertrauen und auch Mut zum selbstbestimmten Leben zu entwickeln, ist jedoch das genaue Gegenteil richtig und hilfreich. „Grundsätzlich tut eine leichte Selbstüberschätzung gut“, ist die Bremerin überzeugt. Doch ganz so einfach ist es nicht, wie die neuere Forschung zum Thema Selbstvertrauen zeigt. Diese belegt, dass ein allzu hoher Selbstwert durchaus mit Problemen behaftet sein kann und oft negative Auswirkungen zeigt. „Diese Menschen wirken oftmals arrogant, meinen Privilegien zu verdienen und bleiben deshalb hinter ihrem Leistungsvermögen zurück“, erklärt Robert Haringsma; Begründer des Amsterdamer Instituts für Positive Psychologie. Das eigene Umfeld hat dafür meist wenig Verständnis. Es sei deshalb problematisch, wenn ein großes Selbstwertgefühl dazu führt, dass man hinter seinen eigenen Möglichkeiten zurückbleibt, schreibt Haringsma in seinem Buch „Stärken Sie Ihr Selbstvertrauen“. Unter psychologischem Gesichtspunkt gebe es genug Belege für die Ansicht, dass man glücklicher wird, wenn man gefordert wird und sich entwickeln kann. Man werde sich, so schlussfolgert Haringsma, wohler fühlen, wenn man gute Leistung bringt. Es reicht offenbar also nicht aus, von sich ein nur positives Selbstbild zu haben.

Nicht den Selbstwert auf eine Karte setzen!

Genauso problematisch ist es allerdings, seinen Selbstwert ausschließlich von einer Kompetenz abhängig zu machen. Das hat eine neuere Studie der amerikanischen Psychologinnen Jennifer Crocker und Lora Park gezeigt. Sie ergab, dass bessere Leistungen nicht zwangsläufig eine Stärkung des Selbstvertrauens bewirkten. Zuvor hatten sie Menschen untersucht, die ihr Selbstvertrauen hauptsächlich auf ihre Erfolge und ihre Leistung stützten. Sie fanden heraus, dass das Selbstwertgefühl bei den Probanden nur dann so lange hoch war, solange sie genug leisteten. Sobald dies nicht mehr der Fall war und im Leben etwas schiefging, schwand dieses Gefühl rasend schnell dahin. So schnell, dass sich Depressionen und eine Vielzahl anderer Probleme einstellen konnten.

Allem Anschein nach hatte der Beruf für Andreas Lubitz eine herausragende Bedeutung und hohen Stellenwert. Sein Selbstwertgefühl hing stark von seiner Fähigkeit ab, ein Flugzeug fliegen zu können. Als der Pilot befürchtete, dass man ihm die Fluglizenz entziehen könnte, brach für ihn seine Welt zusammen. Er konnte sich nicht vorstellen, jemals einen anderen Beruf zu erlernen und auszuüben. Kompetenz, die Fähigkeit auf einem Gebiet überragend oder sehr gut zu sein, ist somit kein Garant für ein gesundes Selbstwert. „Bei Menschen, die ihre Kompetenzen gut entwickelt haben, wirkt es manchmal so, als hätten sie viel Selbstvertrauen. Sie strahlen Autorität aus und nötigen anderen durch ihr entschiedenes und resolutes Auftreten Respekt ab. Diese Ausstrahlung muss jedoch nicht unbedingt widerspiegeln, was sich in ihrem Inneren abspielt. Denn gerade sie können tief in ihrem Inneren sehr unsicher sein“ erklärt Haringsma. Häufig haben sie zwar großes Vertrauen in ihre Kompetenz, aber es mangelt ihnen an Selbstwertgefühl. Besonders Menschen, die zu Perfektionismus neigen, sind einerseits sehr leistungsstark andererseits fehlt es ihnen häufig an Eigenliebe und Selbstachtung.

Dasein ist köstlich, wenn wir selbstbestimmt leben können. Voraussetzung ist optimales Selbstvertrauen.

Für die Selbst-Bewertung sollten daher bestenfalls viele verschiedene Lebensbereiche eine Rolle spielen. Neben der Leistung im Beruf können soziale Kompetenz, gute Beziehungen zur Familie, zum Partner und Freundschaften, aber auch das Aussehen den Selbstwert positiv beeinflussen. Moralische und spirituelle Werte, für die man sich in Politik, in einem Verein oder in seinem Umfeld einsetzt, geben dem Leben oftmals nicht nur einen tieferen Sinn, sondern steigern auch den Selbstwert. Klar ist, dass das Selbstwertgefühl weniger gefährdet und somit stabiler ist, wenn es aus mehreren Quellen gespeist wird. Wer beispielsweise eine glückliche Partnerschaft führt oder gute Beziehungen zu seinen Mitmenschen unterhält, wird eine Kündigung leichter verkraften als der ehrgeizige Karrierist, der engen Beziehungen wenig Bedeutung beimisst. Umgekehrt wird eine Frau eine Trennung vom Partner vermutlich leichter verkraften, wenn sie in ihrem Beruf weiterhin Bestätigung erfährt und von ihren Kollegen geschätzt wird. Robert Haringsma schlussfolgert daher: „Selbstvertrauen kann nur stabil und stark sein, wenn sich Selbstwert und Kompetenzen im Gleichgewicht befinden“. Diesen Zustand bezeichnet der Vertreter der Positiven Psychologie als das optimale Selbstvertrauen. Ein solcher Mensch verkraftet sowohl Niederlagen und Rückschläge als auch Kritik besser. Denn eine Kritik an seinen eigenen Fähigkeiten wird er nicht mehr als Kritik an der eigenen Person empfinden, sondern als wertvolles Feedback wertschätzen. Auch den Mut, mal neue Wege zu beschreiten, bringt ein Mensch, der über optimales Selbstvertrauen verfügt, leichter auf. Wer danach strebt, hat tatsächlich alle Chancen ein besseres und selbstbestimmteres Leben zu führen.

erschienen in: www.psychologiebuch.de/main/blog/adventskalender2/