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Zarte Stiche mit großer Wirkung

Längst ist die Akupunktur als wirksame Therapie bei Schmerz-Erkrankungen anerkannt. Doch mit gezielten Nadelstichen rücken Ärzte noch vielen weiteren Beschwerden zu Leibe.

Ablenkung kann helfen. „Bitte kurz einmal husten“, fordert Dr. med. Yimin Li ihre Patientin Anne auf, bevor sie zielsicher eine lange hauchdünne Nadel auf einen Akupunkturpunkt platziert. „Merken Sie etwas?“, fragt sie,  während sie die Nadel dreht. „Ja, ein leichtes Brennen“, bestätigt Anne. Dr. Li nickt zufrieden. Auf deren Feedback ist sie angewiesen. Erst an den jeweiligen Reaktionen ihrer Patientin kann die Ärztin erkennen, ob die Lebensenergie, im Chinesischen Qi genannt, am Akupunkturpunkt ankommt. „Manche spüren auch ein Kribbeln oder einen leichten Schlag“, erklärt Dr. Li, die nach ihrem Medizinstudium an der chinesischen Hannan Universität noch eine einjährige Fortbildung in Chinesischer Medizin absolvierte.

Ihre Patientin Anne leidet an einer funktionellen Bewegungsstörung aufgrund chronischer Muskelverspannungen. Physiotherapeuten und Osteopathen konnten ihr bislang kaum helfen. Von der Akupunktur erhofft sie sich nun echte Besserung. Ursache sei ein Stau im Leber- und Gallenmeridian, wiederum Folge einer Yin Schwäche, so das Ergebnis Dr. Lis  Zungen- und Pulsdiagnose. Innerhalb weniger Minuten hat die Ärztin neun Nadeln eingebracht, viele davon auf dem Gallenmeridian, denn über diese Leitbahn kann man besonders gut auf Störungen des Bewegungsapparates einwirken. 20 bis 30 Minuten lang werden die Nadeln die Akupunktur-punkte nun stimulieren. Die Patientin ist voll entspannt. Sind die Nadeln erst einmal gesetzt, spürt diese nur noch deren Reizimpulse.

Die Lehre der Chinesischen Medizin und ihre Diagnostik

Die Akupunktur ist neben der Chinesischen Kräuterheilkunde, der Tuina Massage und der Bewegungslehre Qi Gong eine wichtige Behandlungsmethode der Traditionellen Chinesischen Medizin, kurz TCM genannt. Diese mehr als 2000 Jahre alte Erfahrungsmedizin geht davon aus, dass die beiden Kräfte Yin und Yang im menschlichen Körper im Gleichgewicht bleiben müssen, damit der Mensch gesund bleibt. Krankheit ist demnach immer eine Folge einer Yin- und Yang-Störung. Um zu erkennen, wo die Störung genau liegt, orientiert sich diese ganzheitliche Lehre an einem System von 14 Leitbahnen im Körper, sogenannten Meridianen, auf denen sich rund 700 Akupunkturpunkte befinden. Rund 400 davon sind für den Akupunkteur mit Nadeln gut erreichbar. „Durch das Setzen der Nadeln entlang dieser Leitbahnen werden bestimmte Punkte auf der Haut und das darunter liegende Gewebe stimuliert. So können das vegetative Nerven-system und damit die Körperregulation positiv beeinflusst werden“, erklärt Dr. med. Sven Schröder, Neurologe und Arzt der Chinesischen Medizin. Ziel des behandelnden Mediziners ist es, dabei die Energie so umzuverteilen, dass sie wieder gleichmäßig fließt. Dafür muss der Therapeut nicht nur genau wissen, wohin er die Nadel setzt, sondern auch wie er sie setzt. „Bei der Nadelung werden viele verschiedene Techniken eingesetzt, sie kann stimulierend oder sedierend, also beruhigend sein“, erläutert Petra Noll, Heilpraktikerin der Chinesischen Medizin. So kann der Akupunkteur beispielsweise durch Drehen der Nadel gegen oder im Uhrzeigersinn den Energiefluss entweder stimulieren oder aber beruhigen. Auch durch das Heben und Senken oder Kratzen am Akupunkturwedel kann er den Akupunkturpunkt unterschiedlich stark stimulieren. Dabei wird die Nadel unterschiedlich tief gesetzt. „Wenn ich beispielsweise den Ischias behandeln will, muss ich längere Nadeln nehmen“, weiß Heil-praktikerin Petra Noll. „An bestimmten Punkten hingegen, beispielsweise am Rücken, darf ich niemals tief nadeln, da ich die Lungen treffen könnte“, so Noll.

Die Akupunktur lindert nachweislich bei Schmerzen

Kaum ein alternatives Verfahren ist hierzulande so anerkannt wie die Akupunktur. Nicht zuletzt, weil seit 2007 die gesetzliche Krankenkasse bei chronischen Knie- und Rückenschmerzen die Kosten für eine Akupunkturbehandlung übernimmt. Das war die Folge der bundesweit durchgeführten GERAC–Studien (German Acupuncture Trials), die weltweit größte Untersuchung zur Wirksamkeit dieses Verfahrens, bei der die Akupunkturtherapie mit der medikamentösen Standardbehandlung verglichen wurde. 500 niedergelassene Ärzte behandelten 3500 Patienten, die an chronischer Migräne oder Spannungskopfschmerz, Kreuzschmerz und Kniegelenksarthrose litten. Das positive Ergebnis der Studie: Bereits zehn bis 15 Akupunktursitzungen reduzierten die Beschwerdesymptomatik bei Migräne ähnlich wirksam wie die medikamentöse Therapie. Bei Knie- und Rückenschmerzen war der Effekt sogar noch stärker. Jedoch konnten die Studienleiter nicht nachweisen, dass das Nadeln an chinesischen Punkten wirksamer war als an falschen Stellen. Zudem warf man den Studienleitern vor, dass die Ergebnisse ungenau seien, da viele Patienten die Einnahme von Medikamenten nach kurzer Zeit bereits verweigert hätten und somit ein ordentlicher Vergleich gar nicht mehr möglich gewesen wäre. Dass Akupunktur durchaus helfen kann, belegte die 2012 veröffentlichte Metastudie vom New Yorker Memorial Sloan-Klettering Cancer Center, für die Wissenschaftler die Daten von 29 klinischen Studien mit rund 18.000 Patienten ausgewertet hatten, die unter chronischen Schmerzen am Rücken, in der Schulter, im Kniegelenk oder unter chronischen Kopfschmerzen litten. „Je nach Art der Schmerzen verringerten sich die Beschwerden bei den Akupunktur-Behandelten um bis zu 23 Prozent gegenüber Patienten, die nur scheinakupunktiert wurden“, so das Ergebnis der Studie. (…)

erschienen in: natürlich gesund und munter, Magazin für ganzheitliche Gesundheit, Naturheilkunde und Bewusstes leben